„Er sieht sie weder durch die Seele noch durch den Geist, sondern durch den Nous, der zwischen den beiden ist.“
(Aus dem Evangelium der Maria Magdalena, kommentiert von Jean-Yves Leloup)


Die Frage, die dich betrifft

Hast du dich schon einmal gefragt, ob das, was du glaubst zu erkennen oder zu fühlen, wirklich echt ist? In einer Welt voller Eindrücke, Meinungen und Wunschvorstellungen kann es schwierig sein, den Unterschied zu erkennen. Gerade wenn wir große Träume haben oder uns nach etwas sehnen, ist die Gefahr groß, dass wir einer Illusion folgen – anstatt einer echten Vision.

Diese Frage beschäftigt die Menschheit schon sehr lange. Eine spannende Antwort darauf findest du in einer alten Schrift: dem Evangelium der Maria Magdalena. Der Text erzählt von einem Gespräch zwischen Maria Magdalena und Jesus (dem Erlöser), das eine einfache, aber tiefgehende Wahrheit vermittelt: Wirkliches Erkennen kommt nicht vom Denken oder vom Fühlen – sondern von einer tieferen Klarheit in uns selbst.


Marias Frage: Woher weißt du, was wahr ist?

Maria Magdalena stellt dem Erlöser eine Frage, die auch dich immer wieder bewegen könnte:
„Herr, sieht der, der die Vision schaut, sie durch die Seele oder durch den Geist?“

Die Seele steht hier für das, was du fühlst – deine Emotionen, Wünsche und Ängste. Der Geist ist das, was du denkst – deine Überlegungen, Meinungen und Bewertungen. Doch Jesus antwortet überraschend:
„Weder durch die Seele noch durch den Geist, sondern durch den Nous, der zwischen den beiden ist.“

Der „Nous“ ist ein altes Wort für das, was man vielleicht „höheres Bewusstsein“ nennen könnte – eine Art inneres Wissen oder eine tiefe Klarheit. Jean-Yves Leloup beschreibt ihn als das „Herzenswissen“: ein innerer Raum, in dem du frei bist von Gefühlen und Gedanken. Ein Ort, an dem du nicht urteilst, sondern einfach erkennst.


Illusion – Wenn du das siehst, was du sehen willst

Oft nehmen wir Dinge nicht so wahr, wie sie wirklich sind, sondern so, wie wir sie gern hätten. Deine Wünsche, Ängste oder Hoffnungen lassen dich glauben, etwas sei wahr, obwohl es nur eine Illusion ist. Diese Illusionen können dich sogar antreiben oder begeistern, aber sie beruhen nicht auf einer tiefen Wahrheit. Sie können sich gut anfühlen, doch wenn du genauer hinschaust, merkst du vielleicht, dass ihnen das Fundament fehlt.

Jean-Yves Leloup schreibt:
„Die Illusion entspringt unserer Projektion.“


Das heißt: Du siehst nicht die Wirklichkeit, sondern das, was du hineinlegst. Das kann tröstlich sein – oder verwirrend. Und irgendwann darfst du dich fragen: Bist du bereit, loszulassen, was du dir wünschst, um zu sehen, was wirklich ist?


Vision – Das klare Bild aus deiner inneren Stille

Eine echte Vision kommt nicht aus Wunschdenken oder Angst. Sie entsteht in einem Moment, in dem du ganz still wirst. In dem du weder etwas willst noch etwas fürchtest. Die Vision zeigt sich in deinem innersten Wissen – im „Nous“, im Herzenswissen. Sie fühlt sich klar und ruhig an. Du musst niemanden überzeugen, dass sie wahr ist. Sie ist einfach da.

Oft bringt sie dich auf einen neuen Weg. Vielleicht einen, den du vorher nicht erwartet hättest. Aber dieser Weg ist ehrlich und tief verbunden mit dem, was du wirklich bist.


Wie erkennst du den Unterschied?

Vielleicht möchtest du einmal überlegen:

  • Wann in deinem Leben hattest du das Gefühl, etwas wirklich erkannt zu haben?
  • Wann war es eher ein schöner Wunsch, den du für eine Wahrheit gehalten hast?
  • Wie fühlt es sich an, wenn eine Idee oder Eingebung einfach ruhig und klar in dir da ist – ohne Druck, ohne Zweifel?

Illusion oder Vision? – Ein Überblick zum Vergleichen

IllusionVision
Entsteht aus Angst oder WunschdenkenEntsteht aus innerer Ruhe und Klarheit
Hängt von Gefühlen oder Meinungen abIst unabhängig von Stimmungen oder Meinungen
Fühlt sich oft drängend oder hektisch anFühlt sich ruhig, offen und klar an
Führt zu Kontrolle und FesthaltenFührt zu Vertrauen und Loslassen
Muss bewiesen oder erklärt werdenMuss nichts beweisen – sie ist einfach da
Führt zu Unruhe oder UnsicherheitBringt Frieden und ein Gefühl der Sicherheit
Verändert sich mit äußeren UmständenBleibt beständig, auch wenn sich vieles verändert

Warum es wichtig ist, genau hinzuschauen

Heute wird oft von „Visionen“ gesprochen – im Beruf, in der persönlichen Entwicklung oder in der Werbung. Doch nicht alles, was sich gut anhört, ist auch wirklich eine Vision im tieferen Sinn. Deshalb lohnt es sich zu prüfen: Ist das wirklich deine tiefste Wahrheit? Oder ist es nur etwas, das du gern glauben möchtest?

Jean-Yves Leloup erinnert uns: Eine echte Vision fordert dich heraus. Sie verlangt, dass du ehrlich mit dir selbst bist. Dass du bereit bist, nicht nur das zu sehen, was du sehen willst, sondern das, was wirklich da ist. Doch eine Vision bringt dich auch in Verbindung mit deinem tiefsten Potenzial.

Manchmal heißt das: warten. Geduldig sein. Still werden. So wie bei einem leeren Blatt Papier, das darauf wartet, dass sich eine wahre Geschichte darauf zeigt.


Fazit: Die Einladung, wirklich zu sehen

Das Evangelium der Maria Magdalena gibt dir eine klare Botschaft: Die Wahrheit erkennst du nicht allein durch Denken oder Fühlen. Sondern durch eine tiefere Klarheit in dir selbst – durch den „Nous“.

Vielleicht ist heute der richtige Moment, dich zu fragen:

  • Bist du bereit, wirklich hinzuschauen?
  • Bist du offen dafür, loszulassen, was du dir wünschst, um zu sehen, was wahr ist?

Jean-Yves Leloup sagt:
„Es ist das Herz, das frei geworden ist, das sehen kann.“

Das könnte deine wichtigste Aufgabe sein: Frei zu werden. Um wirklich zu sehen. Und vielleicht entdeckst du dabei nicht nur eine Vision – sondern dich selbst ganz neu.

About

Nadja Teege

Leave a comment

Your email address will not be published. Required fields are marked

{"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}